bgH-Kommission übergibt Abschlussbericht / Richtervorbehalt kommt / 5-Säulen-Konzept des Staatsministeriums der Justiz zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung im Justizvollzug unter anderem durch Errichtung einer dritten psychiatrischen Abteilung
Die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen sind gravierend. Recht und Gesetz gelten für alle und sie gelten überall. Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch im Justizvollzug. Neben der lückenlosen Aufklärung der Vorwürfe geht es auch um Konsequenzen daraus, wie z. B. bessere Kontrollen und Standards für die besonders grundrechtssensiblen Unterbringungen in den besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände (bgH).
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hat Staatsminister Eisenreich ein umfassendes Maßnahmenpaket umgesetzt. Zudem wurde der Bedarf für eine weitere Verbesserung der psychiatrischen Versorgung festgestellt. Als Teil dieses umfassenden Maßnahmenpakets hat Staatsminister Eisenreich am 9. Januar 2025 eine unabhängige, interdisziplinäre Kommission zur Entwicklung von Leitlinien für die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen (bgH-Kommission) eingesetzt, die insbesondere den grundrechtssensiblen Bereich der Unterbringung von Gefangenen in diesen Hafträumen in den Blick nehmen und Vorschläge zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung der Gefangenen entwickeln sollte. Die Kommission hat nun ihren Abschlussbericht an das Staatsministerium der Justiz übergeben.
Minister Eisenreich: "Ich danke den Mitgliedern der Kommission für Ihren großen Einsatz für Verbesserungen im Justizvollzug. Die Kommission hat ein umfangreiches Werk vorgelegt, das für den grundrechtssensiblen Bereich der Unterbringung im bgH wichtige Empfehlungen enthält und das Konzept des Staatsministeriums der Justiz zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung im Justizvollzug ergänzt."
Kommissionvorsitzender Küspert: "Der Staat hat eine besondere Verantwortung für die Achtung der Menschenwürde von Gefangenen in seiner Obhut. Wir haben deshalb rechtliche Absicherungen und tatsächliche Verbesserungen vorgeschlagen, um Risiken für den unangemessenen Umgang mit Gefangenen im bgH zu reduzieren und psychisch kranken Gefangenen schneller und nachhaltiger zu helfen. Dies dient auch den Mitarbeitern im Justizvollzug, die unter schwierigen Rahmenbedingungen hervorragende Arbeit leisten, und letztlich auch dem Schutz der Allgemeinheit."
I. Besondere Sicherungsmaßnahmen, insbesondere Unterbringung in bgHs
1. Zu den wesentlichen Maßnahmen, die Staatsminister Eisenreich bereits angeordnet und umgesetzt hat:
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Im Ministerium wurde zum 6. November 2024 ein neues Referat eingerichtet, in dem die Aufsicht über die besonders grundrechtssensiblen Bereiche zentral gebündelt wurde. Durch dieses Referat werden nun auch unangekündigte Besuche bei den Justizvollzugsanstalten durchgeführt. Zwischenzeitlich wurden alle bayerischen Justizvollzugsanstalten mindestens einmal unangekündigt besucht.
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Die bestehende Software "IT-Vollzug" wurde bereits weiterentwickelt und Verbesserungen programmiert. Es werden nun noch mehr Angaben (z. B. automatische Berechnung der Dauer der Unterbringung im bgH, Anordnungsgrund) erfasst. Die Anordnung von Einzelhaft und Absonderung wird nun ebenfalls statistisch auswertbar erfasst.
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Auch alle eingehenden Beschwerden werden nun statistisch genau erfasst, um Auffälligkeiten besser zu erkennen und bei Bedarf schneller reagieren zu können.
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Die Berichtspflichten an das Ministerium wurden verschärft. Über die bereits geltende Berichtspflicht nach Ablauf des dritten Tages hinaus müssen die Anstalten unverzüglich berichten, wenn während der Unterbringung eines Gefangenen im bgH ein zur Grundausstattung gehörender Gegenstand vorenthalten oder entnommen wird. Über eine über drei Tage andauernde Unterbringung ist wie bisher unverzüglich und so lange die Unterbringung andauert, nun spätestens alle drei Tage, zu berichten.
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Zusätzlich zu der bislang schon erfolgten Prüfung der einzelnen Eingaben, Beschwerden und Berichte findet auf der Grundlage der neuen statistischen Erfassung ein monatliches Monitoring statt. Statistische Übersichten, u. a. hinsichtlich Eingaben und Beschwerden sowie Unterbringungen im besonders gesicherten Haftraum in den bayerischen Justizvollzugsanstalten werden den jeweils zuständigen parlamentarischen Anstaltsbeiräten halbjährlich zur Verfügung gestellt.
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Es wurden zusätzliche neue verbindliche Standards für die Ausstattung dieser Hafträume, für die Berichte über die Unterbringung im bgH sowie für die Erfassung in der Software "IT-Vollzug" festgelegt.
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Hinsichtlich der weiteren vom Staatsministerium der Justiz ergriffenen Maßnahmen wird auf den Abschlussbericht an den Bayerischen Landtag vom 13. März 2025 (S. 30 ff.) verwiesen.
2. Staatsminister Eisenreich hat außerdem entschieden, folgende wichtige Empfehlungen der Kommission zu den Unterbringungen im bgH zeitnah auf den Weg zu bringen:
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Wir werden Anfang nächsten Jahres ein Gesetzespaket vorlegen.
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Richtervorbehalt: Staatsminister Eisenreich hat sich bereits frühzeitig für die Einführung eines Richtervorbehalts ab einer gewissen Dauer der Unterbringung im bgH ausgesprochen. Die Kommission hatte daher auch den Auftrag, Handlungsempfehlungen für eine praktikable Umsetzung zu erarbeiten. Diese Empfehlungen liegen mit dem Bericht nun vor.
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Minister Eisenreich: "Bei der Unterbringung in den besonders gesicherten Hafträumen ohne gefährdende Gegenstände handelt es sich um einen äußerst grundrechtssensiblen Bereich. Ich halte es daher für notwendig, mit dem Richtervorbehalt eine Kontrollinstanz zur Überprüfung der Maßnahmen nach 72 Stunden einzuführen."
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Außerdem werden wir weitere Empfehlungen für gesetzliche Regelungen aufgreifen, wie z. B. die Einführung einer eigenen Rechtsgrundlage für die Überwachung aus medizinischen Gründen.
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Die Empfehlung der Kommission, "besondere Schutzräume" als neue Kategorie und milderes Mittel zur bgH-Unterbringung zu schaffen, werden wir umsetzen. Außerdem werden wir in zwei Justizvollzugsanstalten Suizidpräventionsräume im Rahmen eines Pilotprojekts erproben.
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Wir werden zur Überarbeitung der Verwaltungsvorschriften z. B. im Hinblick auf die Dokumentations- und Berichtspflichten eine Praxisarbeitsgruppe einsetzen.
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Die bestehenden "Empfehlungen für den Bau von Justizvollzugsanstalten" etwa zu Lage, Größe, Bodenbelag, Wänden und Fenstern von bgHs werden wir überarbeiten.
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Außerdem werden wir den Abschlussbericht weiter sorgfältig auswerten und die weiteren Empfehlungen insbesondere unter vollzugspraktischen Gesichtspunkten prüfen.
II. Verbesserung der psychiatrischen Versorgung
Das Staatsministerium der Justiz hat in diesem Jahr ein Konzept zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung im Justizvollzug entwickelt und wichtige Maßnahmen bereits auf den Weg gebracht. Die Kommission hatte den Auftrag, eigenständig Empfehlungen für die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung zu entwickeln. Die konzeptionellen Überlegungen und bereits ergriffenen Maßnahmen des Staatsministeriums der Justiz und Empfehlungen der Kommission werden nun in einem 5-Säulen-Modell (vgl. auch Anlage) zusammengeführt.

Im Wesentlichen:
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Wir werden das von der Kommission empfohlene 1%-Ziel umsetzen und insgesamt rund 100 Plätze in den psychiatrischen Abteilungen zur Verfügung stellen.
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Dazu werden wir die vorhandenen Kapazitäten in den beiden bestehenden psychiatrischen Abteilungen ausschöpfen.
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Außerdem werden wir eine dritte psychiatrische Abteilung in der Justizvollzugsanstalt München errichten. Die hierfür erforderlichen Stellen und Haushaltsmittel sind bereits im Entwurf des Haushaltsgesetzes für den Doppelhaushalt 2026/27 enthalten.
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In den psychiatrischen Abteilungen der Justizvollzugsanstalten Straubing und Würzburg konnten in diesem Jahr zwei Stellen für Fachärzte für Psychiatrie nachbesetzt werden. Des Weiteren werden wir jeweils eine neue Psychiaterstelle für die psychiatrischen Abteilungen in den Justizvollzugsanstalten Straubing und Würzburg schaffen.
Wir werden die Attraktivität des Justizvollzugs für medizinische Fachkräfte weiter erhöhen. Bereits im vergangenen Jahr wurde die Pflegezulage auch für verbeamtete Pflegerinnen und Pfleger eingeführt. Die Zahlung eines Zuschlags zur Gewinnung von Ärztinnen und Ärzten wird ab 1. Januar 2026 ermöglicht.
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Wir wollen die Kooperationen zwischen psychiatrischen Kliniken und den Justizvollzugsanstalten weiter ausbauen und werden hierfür Mustervereinbarungen entwickeln, entsprechend der Kooperation der Justizvollzugsanstalt München und dem kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost. Der hierfür notwendige Dialog mit dem Verband der Bayerischen Bezirke wurde bereits aufgenommen. Weiter werden wir den Einsatz von Konsiliarärzten ausbauen.
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Außerdem wird das bestehende Angebot der Telemedizin, das bereits für alle Justizvollzugsanstalten die Telepsychiatrie umfasst, um die Telepsychotherapie erweitert. Die Telepsychotherapie wurde bislang in drei Justizvollzugsanstalten erfolgreich pilotiert und wird ab 1. Januar 2026 auf alle Justizvollzugsanstalten ausgeweitet. Die notwendige Ausschreibung ist erfolgt und der Zuschlag wurde bereits erteilt.
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Weitere, schnell umsetzbare Empfehlungen der Kommission werden wir aufgreifen, z. B. werden wir
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die derzeitige Pilotierung der Belastungs- und Suizidrisikoliste (BSL) in vier Justizvollzugsanstalten zügig auswerten und bei Erfolg auf alle Justizvollzugsanstalten ausweiten,
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die Zusammenarbeit zwischen den ärztlichen und psychologischen Bediensteten durch Änderung der Datenschutzvorgaben verbessern,
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das Fortbildungsangebot für Bedienstete zum Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen ausbauen und
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Ärzte noch stärker in die ministerielle Fachaufsicht einbinden.
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Außerdem werden wir den Abschlussbericht weiter sorgfältig auswerten und die weiteren Empfehlungen prüfen.
Der Minister: "Wir brauchen aber auch eine Debatte darüber, was der Justizvollzug – auch vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen, demographischen und wirtschaftlichen Entwicklungen – leisten kann und was nicht. Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass der Abschlussbericht der Kommission im Bereich der Verbesserung der psychiatrischen Versorgung auch die gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich auch auf den Justizvollzug auswirken, stärker berücksichtigt."
Der Justizvollzug wurde insbesondere in den letzten Jahren mit einem spürbaren Anstieg der Zahl psychisch auffälliger Gefangener konfrontiert. Grund dafür sind zum Teil psychische Erkrankungen. Ein Teil der psychischen Auffälligkeiten ist auf die Abhängigkeit von Suchtmitteln zurückzuführen. Rund 53 % aller bayerischen Gefangenen haben einen Suchtmittelhintergrund (Stand: 31. März 2025). Erschwert wurde die Lage durch eine Gesetzesänderung des § 64 StGB, die am 1. Oktober 2023 in Kraft trat. Durch die Reform sind die Anforderungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt des Maßregelvollzugs deutlich gestiegen. Dadurch ist der Justizvollzug mit einer Zunahme von Straftätern mit Suchtmittelhintergrund konfrontiert.
Ein geringer Teil der psychisch auffälligen Gefangenen verursacht besonders große Probleme und bindet erhebliche Kapazitäten. Die Folgen für das tägliche Vollzugsleben sind beträchtlich. Staatsminister Eisenreich: "Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Justizvollzugs, die unter schwierigen Bedingungen jeden Tag elementar Wichtiges für die Sicherheit in unserem Land leisten."
Wir wollen und werden die psychiatrische Versorgung in den Justizvollzugsanstalten spürbar verbessern. Die Möglichkeiten zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung haben aber natürliche Grenzen. Der Abschlussbericht der Kommission enthält viele gute Vorschläge, skizziert aber in Teilen einen Goldstandard, der aufgrund der demographischen Entwicklung, des Fachkräftemangels und der angespannten Wirtschafts- und Haushaltslage in der Realität nicht umsetzbar ist. Der Fachkräftemangel macht vor dem Justizvollzug nicht halt. Auch in dem von der Kommission erwähnten zweiten bayerischen Psychiatriebericht des Staatsministeriums für Gesundheit, Pflege und Prävention wird festgestellt, dass sich der Fachkräftemangel durch alle Bereiche der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zieht. Laut dem Deutschen Krankenhausinstitut (DKI) gaben zum Jahreswechsel 2022/2023 77 % der psychiatrischen und psychosomatischen Fachkrankenhäuser sowie Allgemeinkrankenhäuser mit psychiatrischer oder psychosomatischer Fachabteilung Probleme bei der Besetzung ärztlicher Stellen an.
Minister Eisenreich: "Es ist unsere Aufgabe, eine angemessene psychiatrische Versorgung der Gefangenen sicherzustellen. Es ist aber nicht möglich, aus Justizvollzugsanstalten psychiatrische Kliniken zu machen."
Die Kommission stellt dazu in ihrem Abschlussbericht fest, dass selbst die psychiatrischen Abteilungen in den Justizvollzugsanstalten einen Gefängnis- und keinen Krankenhauscharakter haben. Auch deshalb hat die Kommission empfohlen, die Kooperationen mit psychiatrischen Kliniken auszubauen und auch neue Kooperationsformen zu prüfen.
Der Minister: "Wir werden den Abschlussbericht weiter sorgfältig auswerten und die Empfehlungen prüfen. Ich danke dem Vorsitzenden Peter Küspert und der Kommission für die intensive Arbeit und die wertvollen Vorschläge und Impulse."
Der Abschlussbericht der Kommission kann hier abgerufen werden.
Ihren Mut zur Freiheit haben die Geschwister Scholl und vier ihrer Freunde mit dem Leben bezahlt. Wohin es führen kann, wenn die Dritte Gewalt im Staate ihre Unabhängigkeit verliert, zeigt die Dauerausstellung Willkür "Im Namen des Deutschen Volkes".
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… dass die Fachgerichtsbarkeiten, d.h. die Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte in Bayern nicht zum Justizressort, sondern zum Geschäftsbereich der jeweiligen Fachministerien gehören?