Pressemitteilung 95 vom 17.12.2025
Landgericht München II Strafverfahren gegen Aziz A. (40 Jahre) wegen des Verdachts des versuchten Mordes
Das Landgericht München II – 1. Große Strafkammer als Schwurgericht – hat heute den Angeklagten wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt.
Der Vorsitzende Richter Thomas Bott bezeichnete die Tat einleitend als ein Trauerspiel für die fünf gemeinsamen Kinder der Geschädigten und des Angeklagten.
Seit der von Verwandten arrangierten Eheschließung des Angeklagten und der Geschädigten im Jahr 2004 sei es zu immer wiederkehrende Streitigkeiten zwischen den Eheleuten gekommen. Eine Vertrauensbasis für die Ehe habe nicht bestanden. Die Streitigkeiten seien einem charakteristischen Muster gefolgt: Vom Angeklagten ausgehende verbale Aggressionen seien von der Geschädigten erwidert worden. Der Angeklagte habe die Situation dann eskaliert und habe begonnen, die Geschädigte zu beleidigen. Beleidigungen seien zwar gelegentlich ohne Steigerung erwidert worden, die dann folgenden tätlichen Aggressionen seien aber immer nur vom Angeklagten ausgegangen und von diesem auch offen vor den Kindern ausgetragen worden.
Es sei zu polizeilichen Ermahnungen, Platzverweisen, und Gewaltschutzverfahren gekommen; die Nebenklägerin habe aber entsprechende Anträge regelmäßig auf Veranlassung des Angeklagten wieder zurückgezogen. Die vom Angeklagten verlangte Unterwerfung unter seinen Willen sei aber dennoch nicht erfolgt.
Am Tattag habe der Angeklagte erneut Streit gesucht und habe die Situation wiederum unnötig eskaliert. Schließlich habe der Angeklagte der Geschädigten in der Küche der gemeinsamen Wohnung insgesamt 11 massive Messerstiche in den zentralen Brustkorb und gegen den unteren Torso versetzt. Die Geschädigte erlitt dramatische Verletzungen, die zu einer akuten Lebensgefahr führten. Sie wies zusätzlich infolge eingenommener Schutzhaltung einen Unterarmdurchstich und einen Oberschenkeldurchstich auf. Sowohl der Bauch- als auch der Brustraum seien eröffnet und eine lebenswichtige große Vene unter dem Schulterblatt verletzt worden. Der Angeklagte habe bei der Tat mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt. Die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei nicht beeinträchtigt gewesen.
Das Gericht geht davon aus, dass der Angeklagte, der als uneingeschränktes Familienoberhaupt habe gelten wollen, gemerkt habe, dass er bis dahin nicht die von ihm erstrebte Kontrolle über die Familie erlangte; insbesondere habe sich die Geschädigte ihm nicht unterworfen und die Kinder nicht Partei für ihn ergriffen. Der Angeklagte habe daraufhin aus einem übersteigerten Anspruchsdenken, wonach die Geschädigte ihm solche Unterwerfung schulden würde, gehandelt. Er habe – so Thomas Bott – seinen Willen auch um den Preis des Lebens der Geschädigten durchsetzen wollen. Das aber stehe sittlich auf tiefster Stufe und stelle daher einen niedrigen Beweggrund dar. Der Angeklagte, der zwar in der Türkei geboren sei, aber seit langem in Deutschland lebe hier zur Schule gegangen und als Bauleiter beruflich erfolgreich gewesen sei, habe auch nachvollziehen können, dass dies nach der Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland als besonders verwerflich anzusehen sei, eine Frau zu töten, weil sich diese nicht unbedingt unterordne.
Das Leben der Geschädigten konnte gerettet werden, da eines der gemeinsamen Kinder den Rettungsdienst gerufen hatte. Der Angeklagte selbst ging nach den Feststellungen des Gerichts davon aus, alles zur Tötung der Geschädigten Erforderliche getan zu haben.
Dank des herbeigerufenen Notarztes und einer sehr zeitnahen und guten medizinischen Versorgung habe das Leben der Geschädigten gerettet werden können.
Der Angeklagte hatte sich in der Hauptverhandlung nicht zum Tatvorwurf eingelassen; das Gericht stützte seine Überzeugung auf das Ergebnis einer umfassenden Beweisaufnahme, insbesondere auf die Angaben der Geschädigten, zweier gemeinsamer Kinder sowie der Sachbearbeiterin für häusliche Gewalt bei der örtlich zuständigen Polizeiinspektion. Die Angaben der Geschädigten und der Kinder wurden zur Überzeugung des Gerichts durch die Aussagen der aufnehmenden Polizeibeamten und das Gutachten der Sachverständigen für Rechtsmedizin in wesentlichen Punkten bestätigt.
Das Gericht nahm eine Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe vor, weil die Tat lediglich versucht worden war und es sich nach der Überzeugung der Kammer um eine relativ spontane, nicht von langer Hand geplante Tat handelte. Glücklicherweise habe die Geschädigte keine schweren dauerhaften physischen Folgen erlitten. Zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte das Schwurgericht eine einschlägige Vorstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung abgeurteilt Ende 2022 – begangen an der Geschädigten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hielt das Gericht eine Strafe von 10 Jahren für tat- und schuldangemessen.
Zuletzt ordnete das Gericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft München II steht das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, das binnen einer Woche ab heute eingelegt werden müsste.
Dr. Laurent Lafleur
Leiter der Pressestelle für Strafsachen
Richter am Oberlandesgericht